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"BANANENREPUBLIK MOUTIER": BESCHWERDE GEGEN "SONNTAGSZEITUNG" UND "LE MATIN DIMANCHE" TEILWEISE GUTGEHEISSEN

"BANANENREPUBLIK MOUTIER": BESCHWERDE GEGEN "SONNTAGSZEITUNG" UND "LE MATIN DIMANCHE" TEILWEISE GUTGEHEISSEN

18.07.2018 Stellungnahme des Schweizer Presserats


Parteien: Comité Moutier, ville jurassienne c. «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche»

Thema: Wahrheitssuche / Umgang mit anonymer Studie / Identifizierung

Beschwerde teilweise gutgeheissen

Zusammenfassung:

Die «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» berichteten am 18. März 2018 über Betrugsvorwürfe bei einer kommunalen Abstimmung in Moutier neun Monate zuvor. Die Stimmbürger der bis dahin zum Kanton Bern gehörenden Gemeinde hatten damals knapp für einen Wechsel zum Kanton Jura votiert. Beim Artikel von «Le Matin Dimanche» handelte es sich um eine Übersetzung des gleichentags in der «SonntagsZeitung» publizierten Artikels, weshalb die beiden Texte nahezu - aber nicht vollständig - identisch waren.

Im Artikel war die Rede von einer anonymen statistischen Studie, die der Berner Regierung zugestellt worden sei und die der Redaktion vorliege. Sie belege systematischen Wahl- und Abstimmungstourismus in der Stadt Moutier. Von der «SonntagsZeitung» recherchierte Einzelfälle würden den Sachverhalt bestätigen: Mehrere Personen hätten sich vor der Abstimmung kurzzeitig in Moutier niedergelassen und ihre Papiere in den neun Monaten nach dem Urnengang wieder verlegt - unter anderen der Sohn des separatistischen Vizebürgermeisters, «Mathieu B.». Wie sein Vater habe er sich nicht zum Fall äussern wollen. Bei der Wohnsitzverlegung mit dem Ziel, an einer Abstimmung teilnehmen zu können, handle es sich zwar nicht um ein Strafdelikt, doch könne sie dazu führen, dass eine Abstimmung für irregulär erklärt werde.

Eine Woche später, am 25. März 2018, berichteten «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche», der Staatsanwalt habe seine Untersuchung zwar eingestellt, die Ergebnisse seien für ihn aber dennoch brisant. Entsprechend habe er sich zuerst geweigert, den Bericht herauszugeben, da die Erkenntnisse für den Ausgang der bei der Statthalterin hängigen Beschwerdeverfahren gegen die Abstimmung von Interesse sein könnten.

Gegen die Berichterstattung der beiden Sonntagszeitungen von Tamedia erhob der Präsident des Kampagnenkomitees «Moutier, ville jurassienne» beim Presserat Beschwerde. Er monierte unter anderem: a) dass Informationen weggelassen worden seien, die den sensationellen Charakter der Artikel abgeschwächt hätten; b) dass die Titel der Artikel den Eindruck erweckt hätten, die Abstimmung sei irregulär gewesen; c) dass eine Person («Mathieu B.») klar identifiziert worden sei, obwohl sie keine öffentliche Person sei und ein Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre habe; d) dass in einem Artikel im «Le Matin Dimanche» fälschlicherweise behauptet worden sei, die Staatsanwaltschaft habe sich zuerst geweigert, ihre Einstellungsverfügung der Statthalterin zu übergeben. Tamedia wies in ihrer Beschwerdeantwort zuhanden des Presserates sämtliche Vorwürfe zurück.

Der Presserat fällt ein differenziertes Urteil. In seiner Stellungnahme hält er fest, dass sich «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» bei ihrer Berichterstattung nicht nur auf eine anonyme Studie abstützten, sondern sie mit eigenen Recherchen vertieften; mit der Studie, deren Herkunft nicht zu eruieren war, sind die Redaktoren angemessen vorsichtig umgegangen. Sie haben soweit ersichtlich keine Informationen unterschlagen, die den skandalisierenden Charakter der Artikel geschmälert hätten. Den gemäss der beiden Zeitungen ebenfalls als «Autonomisten» bekannten «Mathieu B.» reduziert, aber nicht vollständig zu anonymisieren, war gerechtfertigt, da es im Interesse der Öffentlichkeit liegt, zu erfahren, dass es gerade der Sohn des Vizebürgermeisters und Wahlbürochefs war, der sich rund vier Monate vor der Abstimmung als Einwohner von Moutier registriert hatte. Auf korrekte Art und Weise ist «Le Matin Dimanche» zudem seiner Berichtigungspflicht nachgekommen, nachdem die Zeitung fälschlicherweise behauptet hatte, der Wahlbürochef sei der Sohn des Bürgermeisters. Somit sind Ziffer 3, Ziffer 5 und Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt worden.

Ein Verstoss gegen Ziffer 1 (Wahrheit) aber liegt gleich doppelt vor - je einmal bei beiden Sonntagsblättern. Mit dem Titel «Bananenrepublik Moutier» implizierte die «SonntagsZeitung» in der Ausgabe vom 18. März 2018, in der erwähnten Stadt herrschten Korruption, Bestechlichkeit und staatliche Willkür. Diesen gravierenden Vorwurf kann sie im Artikel nicht ansatzweise erhärten. «Le Matin Dimanche» wiederum schrieb am 25. März 2018 fälschlicherweise, die Staatsanwaltschaft habe sich zuerst geweigert, ihre Einstellungsverfügung der Statthalterin zu übergeben. In der diesem Artikel zugrunde liegenden deutschen Fassung hingegen steht bloss (und richtigerweise), die Staatsanwaltschaft habe die Verfügung anfänglich der Redaktion nicht zustellen wollen. Angesichts dieses fahrlässig verschuldeten Fehlers empfiehlt der Presserat Tamedia dringend, bei der Übersetzung von Texten künftig wesentlich grössere Sorgfalt walten zu lassen.

Dokument:

202018ComitMoutervillejurassiennecSoZLMDStn.pdf

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