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Richard Müller ist gestorben

Richard Müller ist gestorben

14.06.2013 Richard Müller (Bild), langjähriger Chefredaktor der 1998 verschwundenen Tageszeitung "Berner Tagwacht", ist tot. Müller starb am 5. Juni 2013 im Alter von 81 Jahren, wie seine Familie mitteilte. Nachfolgend ein Nachruf verfasst von Michael Kaufmann, Bundeshausredaktor der "Berner Tagwacht" 1991-1998, zuletzt als Chefredaktor (heute Direktor Hochschule-Luzern-Musik):


Foto: Archiv

Keiner für 20 Minuten

Zum Tod von Richard Müller, langjähriger Chefredaktor der "Berner Tagwacht"

Richard Müller sitzt im Zigarettenqualm im Büro. Die Schreibmaschine klappert, nebendran steht der Becher mit kaltem Kaffee, das Fenster ist trotz brandheissem Sommer geschlossen. Er denkt nach. Manchmal tippt er was. Er denkt, er schreibt. Er denkt schreibend. Er schreibt denkend. Und er schweigt.

So war er: Er hat nicht viel gesprochen. Sein Ton war leise und behutsam. Auch als Redaktionschef, als Politiker, der er zwischendurch war. Er wusste, wie man mit Sprache umgeht. Eben leise und behutsam. Um umso spitziger, klarer, Partei ergreifend, Ungerechtigkeit anprangernd war seine Schreibe. Müller konnte schreibend donnern, sogar wenn er seine eigene Partei, die SP, in die Pfanne haute. Das war immer laut, das ging direkt ins Gehirn: Kein Journalist der 1970er- bis 1990er-Jahre wurde in den Medien und vor allem der Presseschau von Radio DRS auch nur annähernd so viel zitiert. Nicht nur, weil er ein Linker einer der letzten linken Tageszeitungen war, sondern weil er tagtäglich hervorragende Texte produzierte. Das war kein populistisches Geschwätz, da war kein Satz zu viel, da stimmte die Pointe genau. Da mussten sogar jene den Hut ziehen, die mit ihm überhaupt nicht einverstanden waren.

"Richi" Müller war leise und freundschaftlich, aber bestimmt: Als Chef hat er uns gelehrt, auf was es ankommt. Er hat uns korrigiert, er hat uns geschlaucht, er war auch unser lebendiges Wikipedia und Politiklexikon. Er hat fast alles gewusst, sogar die Fussballresultate des FC Münsingen oder den aktuellen Spielplan der Oper. Er war im Gespräch köstlich, manchmal sarkastisch, manchmal witzig, immer ehrlich. Man konnte mit ihm lachen. Er war ein blitzgescheiter Kulturmensch. Er erfand das schräge "Henusode" auf der Titelseite.

Dezidiert war er auch als profunder Kenner der Medienszene. Er analysierte kritisch-selbstkritisch. Anfangs der 1990er-Jahre sagte er alles voraus: Den Untergang der Parteizeitungen, die verlegerische Zusammenführung von "Bund" und "BZ", den Übergang zu Forumsblättern, den medialen Einheitsbrei, den drohenden Verlust journalistischer Qualität, den Verzicht auf profunde Recherche. Er hat das gewusst und das für unsere Gesellschaft gefährliche Risiko des Verlusts von Medienvielfalt erkannt: Nicht nur als Redakteur, Publizist und Politiker hat er immer wieder darauf hingewiesen. Er tat's auch in Gesprächen mit den Chefredaktoren auf dem Medienplatz Bern. Unvergesslich sind die regelmässigen Austauschgespräche zwischen den Berner Mediengiganten Richard Müller und Charles von Graffenried. Der "grosse" Graffenried diskutierte mit dem "kleinen" Müller auf Augenhöhe, weil er wusste: Hier ist die Konzerngrösse nicht relevant, sondern in erster Linie die publizistische Haltung. Beide hatten wohl gemeinsam eine Vorahnung von dem, was 20 Jahre danach Fact ist: Die total umgepflügte Medienlandschaft hat auch die Grossen getroffen.

Insgeheim hat Richard Müller bei allem Engagement das Ende der "Berner Tagwacht" geahnt. Das hat ihn in seinen letzten Redaktionsjahren innerlich zermürbt und krank gemacht. Er und wir alle haben uns gegen den Zeitgeist gestemmt und gingen letztendlich doch als erste heroisch unter.

Richard Müller ging nicht einmal zwei Jahre vor Ende der über 100-jährigen "Berner Tagwacht" in den verdienten Ruhestand. "Seine" Zeitung ging 1998 endgültig verloren. Seine publizistischen, journalistischen und menschlichen Überzeugungen jedoch sind uns allen, die uns bei dieser Zeitung engagiert haben, ein absolutes Vorbild geblieben. Bitte sehr: Nicht in Verklärung vergangener Zeiten sondern als Leitstern für unsere Zukunft.

Michael Kaufmann

Bundeshausredaktor der "Berner Tagwacht" 1991-1998, zuletzt als Chefredaktor; heute Direktor Hochschule-Luzern-Musik

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