BÜRO DLB - IDEE-REALISATION-KOMMUNIKATION
Daniel Leutenegger, Rathausgasse 18, CH-3011 Bern, www.ch-cultura.ch

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"WIR DÜRFEN NICHT HINNEHMEN, DASS WIR IN EINE ZEIT ZURÜCKFALLEN, IN DER ES AUSSCHLIESSLICH DEN PRIVILEGIERTEN VORBEHALTEN WAR, KULTUR ZU GESTALTEN"

"WIR DÜRFEN NICHT HINNEHMEN, DASS WIR IN EINE ZEIT ZURÜCKFALLEN, IN DER ES AUSSCHLIESSLICH DEN PRIVILEGIERTEN VORBEHALTEN WAR, KULTUR ZU GESTALTEN"

10.06.2020 Die SchriftstellerInnen Monica Cantieni, Bettina Spoerri, Rudolph Jula und Sunil Mann haben einen Offenen Brief an den Schweizer Bundesrat verfasst, in dem sie auf die teilweise prekäre Situation im Kultursektor aufmerksam machen und einen konkreten Vorschlag für die Unterstützung vorlegen. Innert kürzester Zeit fanden sich bereits weit über 200 Kulturschaffende sämtlicher Sparten als MitunterzeichnerInnen ein.


Der Brief im Wortlaut:

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OFFENER BRIEF AN DEN BUNDESRAT

Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrats

Wie Sie, geehrte Damen und Herren des Bundesrats, festgestellt haben, sollen mit den COVID-Massnahmen des Bundes die besonders Verletzlichen geschützt werden. Mit den bereits ergriffenen Massnahmen, welche die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie lindern sollen, erfahren jedoch jene nur wenig Schutz, die existenziell bedroht sind: ein grosser Teil der Kulturschaffenden, sowie viele Solo-Selbständige dieses Landes.

Systemrelevanz der Kultur

Die sogenannte Kreativwirtschaft trägt mit einem jährlichen Umsatz von rund 22 Milliarden Franken, also ca. 4 %, zum Bruttoinlandsprodukt bei - doppelt soviel wie die Landwirtschaft. Sie ist ein relevanter ökonomischer Faktor, der sich zudem wertschöpfend auf Bereiche wie Tourismus, Gastronomie oder Standortmarketing auswirkt. Während der Pandemie haben Kulturbetriebe und Kulturschaffende umgehend auf die Krise reagiert, Angebote digitalisiert und der Bevölkerung zumeist sogar kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Kreativwirtschaft hat damit auch unter schwierigen Bedingungen ihre Fähigkeit zur Innovation und zukunftsweisenden Lösungen gezeigt.

Situation der professionellen Kulturschaffenden

Im Kulturbereich sind die Einkommen pyramidenförmig ungleich verteilt. Nach Erhebungen, die Suisseculture Sociale 2016 machte, liegt das Medianeinkommen der Kulturschaffenden - also die breite Basis - bei 40'000 Franken (inkl. sog. Broterwerb). Das Zahlenwerk belegt, dass etwa die Hälfte der professionellen Kulturschaffenden in prekären Verhältnissen lebt - unter normalen Bedingungen durchaus auch auf Eigenrisiko. Die Einkommensschwäche ist dabei nicht Ausdruck von mangelndem Fleiss oder Talent, sondern sie ist systembedingt.

Honorare bilden in der Regel weder das Risiko noch die Tatsache ab, dass genau diese 50% einen grossen Teil des Inhalts liefern, von dem der gesamte Kulturbetrieb lebt, von Kleinveranstaltern bis zur Leuchtturm-Kulturinstitution.

Diese 50% gehören zur Gruppe der Verletzlichsten, und gerade sie warten bisher vergeblich auf adäquate Unterstützungsmassnahmen. So stirbt die Basis der Kultur ökonomisch einen stillen Tod.

Regelwerk Covid-Verordnung

Die bis jetzt angebotenen Massnahmen des Bundes und der Kantone verfehlen das Versprechen, diese Verletzlichen zu schützen. Wer bisher viel verdiente, bekommt jetzt viel. So kommen bei vielen Kulturschaffenden, die schon vorher in prekären Verhältnissen lebten und damit auch kaum Rücklagen bilden konnten, aus der Corona-Erwerbsersatzentschädigung bisher nur Kleinstbeträge an (vgl. #realcoronahelp, wo EO-Tagessätze für den gesamten Kulturbereich von SONART veröffentlicht werden).

Zudem ist das Regelwerk aus drei Anträgen (EO, Soforthilfe, Ausfallentschädigung) kompliziert und bürokratisch. Es ist in Bezug auf die Lebensverhältnisse von Kulturschaffenden wirklichkeitsfremd. Auch berücksichtigt es nicht, dass der Einkommensverlust bis Ende Jahr oder darüberhinaus anhalten wird, weil im Kultursektor im Halb- oder Jahresrhythmus geplant wird.

Fehlende Rechtssicherheit

Wer einen Antrag stellt, muss lesen: 'Es existieren keine Rechtsmittel.' 'Es besteht kein Rechtsanspruch.' 'Es besteht keine Möglichkeit zur Wiedererwägung.' Selbst wer bei kantonalen Stellen einwandfreie Belege für entgangenes Einkommen einreicht, hat keine Gewähr, eine entsprechende Vergütung zu bekommen. Kulturschaffende werden damit ihres Rechtsstatus' beraubt und zu Bittstellern degradiert.

Der Verwaltungsaufwand ist enorm, das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist unwirtschaftlich - und als Ergebnis wird bestehende Ungleichheit potenziert. Die bisherigen Massnahmen machen folglich auch sozial keinen Sinn. Die angebotene Hilfe kann mit dem gegebenen Regelwerk vom Gros der Kulturschaffenden schlicht nicht in Anspruch genommen werden.

Die Massnahme

Wir brauchen jetzt eine unbürokratische, schnelle und praktikable Lösung. Um den gigantischen Verwaltungsaufwand zu vermeiden und gleichzeitig jenen Hilfe zukommen zu lassen, die sie benötigen, schlagen wir einen Festbetrag von mindestens 2'300 Franken ohne Festlegung eines Mindesteinkommens über einen Zeitraum von sechs Monaten vor. Als Vorlage könnte das Modell der Militär-Erwerbsersatzordnung dienen.

Als Bemessungsgrundlage könnten dabei SVA-Deklarationen (Selbständige) und Projektverträge o.ä. herangezogen werden (für Kulturschaffende, aber auch andere, die in mehreren, meist kurzfristigen/befristeten Arbeitsverhältnissen tätig sind), dies jeweils über einen längeren Zeitraum und bis zu einem gewissen Höchstbetrag.

Steuererklärungen zeigen, wer durch einen Nebenerwerb in Festanstellung anderweitig abgesichert ist. Ein Vermögensfreibetrag muss der Tatsache Rechnung tragen, dass ältere Jahrgänge keine Möglichkeit mehr haben, verlorene Ersparnisse zu kompensieren. Die Zuwendungen können Rückzahlbarkeit vorsehen für den Fall, dass später ein substanzielles Erbe anfällt. Damit wird der Faktor des sozialen Hintergrunds miteinbezogen.

Wir ergreifen das Wort nicht nur für Kulturschaffende: Die zeitlich begrenzte Massnahme soll, den Bedingungen des jeweiligen Berufsfeldes entsprechend, auch anderen Solo-Selbstständigen offenstehen.

Grossbritannien beispielsweise zahlt der hier definierten Gruppe von Freischaffenden 2'500 Pfund im Monat. Das Land Berlin hat unbürokratisch eine Einmal-Zahlung von 5'000 Euro überwiesen. In der Schweiz erhält eine Ladenbesitzerin z.B. 2.40 Franken Corona Erwerbsersatzentschädigung pro Tag.

Mit ähnlichen Beträgen sind auch geringverdienende Selbständige im Kulturbereich konfrontiert (ein Veranstaltungstechniker beispielsweise erhält 12 Franken Corona-Erwerbsersatzentschädigung pro Tag).

Die Kulturschaffenden können zwar auch bei zwei weiteren Stellen einen Antrag stellen, aber es gibt keine Gewähr, ob, wann und wie viel ausbezahlt wird. Im Gegensatz dazu ist die von uns vorgeschlagene Massnahme schnell, effizient und vor allem ermöglicht sie ökonomisch gefährdeten Solo-Selbstständigen, sich während der Zeit des Ausfalls fit zu machen für die Zeit danach. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe.

Die Kultur der Demokratie

Was zurzeit geschieht - und durch die bisherigen Massnahmen nicht verhindert wird -, ist ein Selektionsprozess, bei dem die sozial Schwächeren noch einmal benachteiligt werden. Was der Kultur verloren geht, ist ihr Nährboden und ihre Diversität. Es muss zum Selbstverständnis einer Demokratie gehören, dass sich Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft kulturell einbringen können. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass wir in eine Zeit zurückfallen, in der es ausschliesslich den Privilegierten vorbehalten war, Kultur zu gestalten.

Demokratie lebt von Stimmenvielfalt

Wir protestieren in aller Deutlichkeit gegen die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen, welche die bisherigen Massnahmen bzw. das angewandte Hilfsinstrument für den Kultursektor bedeuten. Der von uns vorgeschlagen Fixbetrag bietet eine gangbare, unkomplizierte und schnelle Lösung.

Wir bitten Sie, geehrte Damen und Herren des Bundesrats, um eine Stellungnahme. Selbstverständlich stehen wir gerne für persönliche Gespräche zur Verfügung.

Freundliche Grüsse

Monica Cantieni, Schriftstellerin

Bettina Spoerri, Schriftstellerin, Kuratorin

Sunil Mann, Schriftsteller

Rudolph Jula, Schriftsteller und Regisseur

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Kontakt:

WirSindKultur@gmail.com

https://www.facebook.com/culturecatsandfriends

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Auf www.ch-cultura.ch u.a. bereits erschienen:

"WÄHREND KEIN TAG VERGEHT, AN DEM NICHT ÜBER GESUNDHEITLICHE RISIKEN BERICHTET WIRD, STIRBT DIE BASIS DER KULTUR ÖKONOMISCH EINEN STILLEN TOD"

In der Virus-Zeit leben viele freischaffende Künstler in besonders prekären Verhältnissen. Ihnen würde durch ein (nicht bedingungsloses) Grundeinkommen am effizientesten geholfen. Schriftsteller und Regisseur Rudolph Jula äussert sich auf "journal21.ch" zum Thema.

https://www.ch-cultura.ch/de/archiv/kulturfoerderung-kulturvermittlung-kultur-und-medienpolitik/waehrend-kein-tag-vergeht-an-dem-nicht-ueber-gesundheitliche-risiken-berichtet-wird-stirbt-die-basis-der-kultur-oekonomisch-einen-stillen-tod

17.05.2020

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