"HELEN DAHM – EIN KUSS DER GANZEN WELT"
15.09.2018 Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, bis am 25. August 2019
Bild: Helen Dahm, Ohne Titel [Figur mit Ornament], undatiert, ca. 26,5 × 26 cm, Linolschnitt oder Holzschnitt auf Japanpapier, Graphische Sammlung ETH Zürich
Die 1878 in Kreuzlingen geborene Helen Dahm gehört zu den Pionierinnen und Grenzgängerinnen der Schweizer Moderne. Doch bis heute blieb ihr Werk unterschätzt. Die über 170 Werke umfassende Ausstellung "Helen Dahm - Ein Kuss der ganzen Welt" und das begleitend erscheinende Buch werden den Blick auf das Schaffen von Helen Dahm mit zahlreichen nie gezeigten Leihgaben verändern und erweitern.
Denn Helen Dahm ist in mehrerer Hinsicht eine
aussergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit. Helen Dahms Schaffenszeit ist sehr lang und vielseitig: Die ersten erhaltenen
Arbeiten stammen von 1898, die letzten aus ihrem Todesjahr 1968. Stets
beschritt die Künstlerin neue Wege und experimentierte künstlerisch - mit Form,
Material und Motiven. So spiegelt sich in ihrem Schaffen beinahe ein
Jahrhundert Kunstgeschichte.
Zeitlebens traf Helen Dahm radikale Entscheidungen, um ihren Weg als Frau und
Künstlerin zu verfolgen: Sie liess ihre Familie in Zürich zurück und ging 1906
gemeinsam mit ihrer Freundin in die damalige Kunstmetropole München. Dort
lernte sie Gabriele Münter, Wassily Kandinsky sowie andere Künstlerinnen und
Künstler des Blauen Reiters kennen. Diese Begegnungen und die Mitgliedschaft in
der Künstlervereingung Die Walze, wie überhaupt das Kunstgeschehen in den
turbulenten Jahren 1906 bis 1913, die Geburt der künstlerischen Moderne,
prägten Dahms eigenes Schaffen entscheidend.
Zurück im akademisch und männlich geprägten Zürcher Kunstbetrieb, entstanden vom Jugendstil ausgehende Holz- und Linoldrucke, die tanzende Frauenakte zeigten. Um sich endgültig von kunstgewerblichen Zuschreibungen abzugrenzen, beschloss Helen Dahm Anfang der 1920er-Jahre, sich gänzlich der Kunst zu widmen.
Sie zog mit ihrer Lebensgefährtin Else Strantz in ein Bauernhaus nach
Oetwil am See im Zürcher Oberland. Dieser Ausbruch in die Natur entsprach nicht
nur ihrem Wesen, sondern auch dem Drang der damaligen Künstlergeneration,
Inspiration und Freiheit ausserhalb der Städte zu suchen - sei es in Murnau
oder in Künstlerkolonien wie Neu-Dachau, Worpswede oder Ascona. Helen Dahm
suchte in der Natur des Schweizer Voralpenlandes nach einem naturnahen Leben
und einem authentischen künstlerischen Ausdruck.
1938 führte sie ihre Sinnsuche bis nach Indien, wo sie in einem Frauen-Ashram
lebte. Zurück in Oetwil beschritt sie immer neue künstlerische Wege und erhielt
schliesslich späte Anerkennung: 1954 wurde ihr als erster Frau der Kunstpreis
der Stadt Zürich verliehen. Doch auch danach experimentierte Helen Dahm stets
weiter und begann im Alter von knapp 80 Jahren, abstrakt zu malen.
Bis heute blieb Helen Dahms Werk unterschätzt. Ihr Landleben und ihre
spirituelle Suche, die sich in religiösen Motiven niederschlug, hatten eine
einseitige Wahrnehmung und "Schubladisierung" ihrer Bilder zur Folge.
Das Ausstellungs- und Buchprojekt versucht, den Fokus zu verschieben und eine
neue Wahrnehmung der Werke Helen Dahms zu erreichen. Abgelöst von der äusserst
spannenden Lebensgeschichte ihrer Schöpferin, halten die Werke dem
kunstgeschichtlichen Vergleich mit Zeitgenossen stand und weisen bisweilen
visionär in die Zukunft.
Die Leihgaben stammen aus der Kunstsammlung der Stadt Zürich, aus dem Kunsthaus Zürich, von der Graphischen Sammlung der ETH Zürich, vom Museum für Gestaltung Zürich, Kunstgewerbesammlung, ZHdK, aus der Kunstsammlung Kanton Zürich, vom Museum Allerheiligen Schaffhausen, aus der Kunstsammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sowie aus zahlreichen Privatsammlungen.
Zur Ausstellung ist eine umfassende Publikation erschienen, die hier bestellt werden kann.
kmtg
Kontakt:
https://kunstmuseum.tg.ch/sammlung/ausstellungen/ausstellung.html/7912?exhibition=107
Bild: Helen Dahm, Rosen in weisser Schale, um 1930, Öl auf Leinwand, 80 x 74 cm, Kunstmuseum Thurgau