BÜRO DLB - IDEE-REALISATION-KOMMUNIKATION
Daniel Leutenegger, Rathausgasse 18, CH-3011 Bern, www.ch-cultura.ch

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"ZILLA LEUTENEGGER: L'OUEST OU L'EST"

"ZILLA LEUTENEGGER: L'OUEST OU L'EST"

28.06.2019 Sommerausstellung in der Abteikirche von Bellelay, bis am 9. September 2019


Bild: © Zilla Leutenegger, http://www.abbatialebellelay.ch/de/exhibition/zilla-leutenegger/

Die Poesie des Alltäglichen hat Einzug gefunden in die barocke Monumentalität der Klosterkirche in Bellelay. Zilla Leutenegger zeichnet in die scheinbare Leere der Klosterkirche, als ob sie ein unbeschriebenes Blatt wäre. Mit der installativen Arbeit "L'ouest ou l'est" hinterfragt Zilla Leutenegger die Sehgewohnheiten und schafft mit viel Empathie Räume aus Erinnerungsfragmenten. Es sind Räume zum Träumen.

Die eigens für die Klosterkirche entstandene Arbeit "L'ouest ou l'est" der in Zürich lebenden Künstlerin Zilla Leutenegger (*1968 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich) spielt mit der Licht- und Klangstruktur des Ortes. Charakteristisch für Zillas künstlerisches Schaffen ist der mediale Dialog zwischen Zeichnung, Videoinstallationen und skulpturalen Elementen. Ausgehend von Zeichnungen, die durch ihre Einfachheit bestechen, Unfertiges und Skizzenhaftes zulassen, schafft sie Welten aus Wahrnehmbarem und der Fantasie.

Zwei zur Entsorgung bestimmte Flügel bilden den farblichen Kontrast zum weissen Kircheninnenraum und begrüssen wie von Geisterhand berührt mit leisen, fast beiläufigen Tönen die Besucherinnen und Besucher. Mal der eine, dann zusammen und danach der andere, denn die beiden mechanischen Flügel werden von je einem sich auf dem Nordturm der Kirche befindenden Solarpanel gesteuert. Das eine, das einen Flügel morgens zum Klingen bringt, gegen Osten ausgerichtet, das andere gegen Westen, um den zweiten Flügel nachmittags zu wecken. Steht die Sonne im Zenit, berühren ihre Strahlen beide Solarpanels gleichzeitig und ein Duett zufälliger Töne beider Flügel erfüllt den Kirchenraum.

Mal lauter, mal leiser, je nach Stärke der Sonneneinstrahlung, klingen die sieben programmierten Töne in den Raum. Einzig die Stromkabel, welche die Pianos mit den Panels verbinden und die sich einer Zeichnung ähnlich durch den Raum in die Höhe ziehen, weisen darauf hin, woher die Energie kommt. Die West-Ost Ausrichtung der Panels zeichnet zudem die imaginäre Linie nach, welche die um einige Grad verschobene Ausrichtung der Kirche korrigiert.

In Zilla Leuteneggers Werk ist das Piano ein immer wiederkehrendes Motiv. Zum einen ist das Piano Träger jener Kindheitserinnerungen an die klavierspielende Mutter, der Klänge aus der Vergangenheit. Zum anderen ist es ein Experimentierfeld. Schon 1995 spielt sie in der Arbeit "Pour Elise" diese Klänge nach. Auch zwei Jahre später in "Breakfast in London" versucht sie dieselben in expressiven Gesten einzufangen. Aus der Erinnerung und indem sie so tut, als ob sie spielen könnte.

Immer wieder kokettiert Zilla Leutenegger in ihrem Schaffen mit dem Dilettantismus - so tun, als ob sie ein Instrument spielen könnte, die Regeln der Perspektive nicht respektieren - sind zwei Beispiele davon. Während in diesen frühen Arbeiten die Rolle der Klavierspielerin noch von Bedeutung war, rückte später die Abwesenheit ebendieser schrittweise in den Vordergrund.

Im Jahr 2008 taucht die Klavierspielerin in der Installation "Rondo" nur noch als ein Schatten auf, der mit dem Schatten eines sich im Raum befindenden Flügels als Projektion auf einer Wand zusammenfällt. Darin zeichnet sich schon die Komplexität der von der Künstlerin bevorzugten Bildkompositionen ab: Sich überlappende Bildebenen und imaginäre und reale Räume zeugen von ihrem Interesse an Verschiebungen der Realität und deren Wahrnehmung.

Die Beziehung des Menschen zum Raum ist dabei im Zentrum und zieht sich weit über die Arbeiten mit einem Piano hinaus. Dennoch soll an dieser Stelle eine weitere Arbeit mit einem Flügel nicht unerwähnt bleiben. "Piano timido", 2018, spielte immer nur dann, wenn Besucherinnen und Besucher den Ausstellungssaal betraten und übersetzte diese flüchtigen Begegnungen in einen Klang.

In der Installation "L'ouest ou l'est" verzichtet Zilla Leutenegger erneut gänzlich auf die Klavierspielerin und überlässt den Klang dem Zufall.

In ihren Installationen gelten kosmische Gesetzmässigkeiten. Das zufällige Spiel der mechanischen Pianos unterliegt den täglich wechselnden meteorologischen Bedingungen und entzieht sich der Kontrolle der Künstlerin.

Die Kontrolle abgegeben, um den Zufall walten zu lassen, hat Zilla Leutenegger auch für den zweiten Teil der Installation "L'ouest ou l'est". Über das Kirchenschiff verteilt sind vier Paravents, die auf der Innenseite mit spiegelnden Stahlplatten ausgestattet sind. Diese Spiegelflächen wurden mit je einem Motiv bedruckt.

Beim angewendeten Druckverfahren, der Monotypie, handelt es sich um ein Verfahren, bei dem ein einziges Originalbild entsteht. Dadurch steht die Monotypie der Zeichnung sehr nahe. Bei diesem Verfahren hingegen übernimmt der Zufall eine wichtige Funktion für die Farbigkeit. Er spielt beim Auftragen bzw. Abnehmen der Farbe, deren Verhalten weder vorausgesehen noch gesteuert werden kann, eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund kann die Farbe auf dem fertigen Bild als unregelmässig aufgetragen erscheinen, wie es das 2016 entstandene Diptychon Piano, eine von düsteren Farben beherrschte Monotypie, veranschaulicht.

Mittels Farbe schafft Zilla Leutenegger einen weiteren Farbkontrast zum Innenraum der 1714 erbauten Kirche und setzt der Erhabenheit des Baus die Banalität der alltäglichen Gegenstände entgegen. Mit der Wahl der Motive, einer Wassermelone oder einer Blumenvase zum Beispiel, greift sie gleichzeitig ein zentrales Element der barocken Ästhetik auf: das Stillleben, bzw. das Vanitas-Stillleben - eine Gattung, die im Barock aus dem Bildhintergrund ins Zentrum des Interesses rückte und zur Eigenständigkeit gelangte.

Der Rückgriff auf den Topos der Vergänglichkeit geschieht jedoch nicht ohne subtile Ironie, die den Arbeiten innewohnt. Mit dem Motiv der Melone führt sie das Sinnliche ein, denkt dabei aber auch an die Lebendigkeit und Leichtigkeit eines Sommertages. Der Topos der Vergänglichkeit beruht auf überlappenden Zeitstrukturen, die auch für das Verständnis der Arbeit von Bedeutung sind. Die Vergegenwärtigung des Verfalls im Jetzt verweist unweigerlich in die Zukunft, das Verrinnen der Zeit verdeutlicht die Künstlerin durch die von der Sonne gesteuerte Klanginstallation.

Eines der wichtigsten Symbole der Vanitas wird in Zilla Leuteneggers Werk mit einer Doppelrolle besetzt. Der Spiegel dient einerseits als Trägermedium, dank welchem die Zeichnung von der Wand gelöst wird und auf der zweidimensionalen Oberfläche der Paravents einen neuen Raum findet. Andererseits ist der Spiegel auf den in jeweils einem Winkel von 90 oder 120 Grad stehenden Paravents Teil der Raumgestaltung und als solches ein Motiv, in das die Betrachterinnen und Betrachter und der Raum miteinbezogen werden.

Durch die Verdoppelung, bzw. Vervielfältigung und Umkehrung sind die Betrachterinnen und Betrachter auf sich selbst und den sie umgebenden Raum zurückgeworfen. Sie vollziehen als Bildgegenstand einen Rollenwechsel von einer passiven zu einer aktiven Figur. Formal dient der Spiegel der Künstlerin dazu, die Zeichnung durch Raum und Bewegung zu ergänzen und die den Kirchenraum bestimmende Perspektive zu brechen. Dieser Perspektivenbruch wird auch durch die "falsche Perspektive" der Zeichnung und mehrere Fluchtpunkte der Installation unterstrichen.

Um in der installativen Arbeit "L'ouest ou l'est" die Sehgewohnheiten zu hinterfragen, konstruiert Zilla Leutenegger kein Narrativ. Vielmehr schafft sie mit viel Empathie Räume aus Erinnerungsfragmenten. Es sind Räume zum Träumen. Die Affektübertragung, ein durchaus barockes Stillmittel, fand bisher ihren Ausdruck durch die Kunstfigur Zilla, die sich durch viele Themenbereiche in Zilla Leuteneggers Werk zieht. Häufig einsam, in einem privaten Raum eine banale Handlung ausführend, steht sie stellvertretend für andere Personen. Dass die Künstlerin nun auf ihr Alter Ego verzichtet, dass verspielte Alltagshandlungen dem Gegenstand weichen, hat mit der eingangs erwähnten Demut, mit der sie sich an den Raum herantastet, zu tun. Durch dessen Ausdehnung über den irdischen Rahmen hinaus, drohte die Figur der Zilla sich zu verlieren.

Zilla Leutenegger geht es in ihrem Schaffen um das Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Dass sie hierfür auf eine einfache Linienführung als Grundlage zurückgreift, erinnert stark an das kunsttheoretische Erbe eines Paul Klee, dessen Linie als ein Gedanke zu verstehen ist, eine Verbindung zwischen Erde und Kosmos. Dieser Gedanke liegt auch der Installation "L'ouest ou l'est" zugrunde und gibt dem ehemals sakralen Raum ein wenig von seiner kosmischen Kraft zurück.

Marina Porobic, Kuratorin

KATALOG

Im Rahmen der Ausstellung erscheint eine dreisprachige Publikation (Engl./FR/DE) mit Texten von Kathleen Bühler und Marina Porobic (Kuratorin). Vorzugsausgabe mit einem Originalwerk von Zilla Leutenegger: Linoldruck, 4 farbig, auf Rives Büttenpapier 300 gm2, 42 × 29,7 cm, 30 Exemplare + 10 E.A. nummeriert & signiert, Produktion: Steindruckerei Wolfensberger.

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Kontakt:

Marina Porobic, Tiefenaustrasse 102, 3004 Bern, Kuratorin, E-Mail: porobic@gmail.com

http://www.abbatialebellelay.ch/de/exhibition/zilla-leutenegger/

http://www.abbatialebellelay.ch/

http://www.zilla.ch/

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